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Windkraft: Warum vier deutsche Windräder die Unesco erzürnen

Foto Die Windkraft in Deutschland hat nicht nur BefürworterIm beschaulichen Rheintal tobt ein Sturm der Entrüstung. Grund für die Aufregung ist der Ausbau der Windkraft. Weil in der Nähe des Weltkulturerbes vier Windräder gebaut werden sollen, schaltet sich nun sogar die Unesco ein und droht mit dem Verlust des Welterbetitels. PREISVERGLEICH.de erläutert die Hintergründe.

Lorch - Bürgerinitiativen gegen die Windkraft gibt es viele in Deutschland. Doch die „ProKulturlandschaft Rheingau“ gehört sicherlich zu den erfolgreichsten. In Oestrich-Winkel und Eltville ist der Bau von Windrädern bereits zu Fall gebracht worden. Jetzt kämpft die Initiative gegen vier Windräder in Lorch, das zum Unesco-Weltkulturerbe am Oberen Mittelrhein gehört. „Das Projekt gefährdet die Existenz des gesamten Rheintals“, glaubt BI-Sprecher Hans Lange.

Vier Windräder im Wispertal

Der Buhmann ist Lorchs langjähriger Bürgermeister Jürgen Helbing. In der 3.800-Einwohner-Stadt am nordwestlichen Zipfel des Rheingaus möchte der CDU-Politiker von der Verpachtung des Windparks an den Karlsruher Energiekonzern EnBW profitieren. Für 2018 hat Helbing, der den Rat der Gemeinde geschlossen hinter sich weiß, im Haushalt schon mal 300.000 Euro aus den Einnahmen eingeplant. „Ich bin dabei, ein Landesgesetz umzusetzen“, sagt der 65-Jährige pragmatisch.

Der 2012 noch von der CDU/FDP-Regierung beschlossene Ausbau der Windkraft in Hessen hat auch Vorranggebiete für Lorch ausgewiesen. Auf einem davon, dem Ranselberg im Wispertal, will EnBW vier Anlagen mit einer Nabenhöhe von 150 Metern und einer Gesamthöhe von rund 200 Metern bauen. Das Gebiet gehört zur Pufferzone im Welterbegebiet. In der Kernzone ist der Bau von Windrädern untersagt.

Vom Rheintal seien die Anlagen mindestens fünf Kilometer entfernt, argumentiert Helbing. Von dort aus sei kaum etwas zu sehen. Die von seinen Gegnern verteilten Flugblätter, die dräuend riesige schwarze Rotorblätter über dem Rheintal zeigen, hält er für einen „Witz“.

„Visuelle Integrität“ durch Windkraft in Gefahr

Er räumt aber ein, dass die Windräder zum Beispiel von der Burg Sooneck auf der rheinland-pfälzischen Seite sichtbar seien. „Windräder tun keinem Menschen weh“, meint Helbing. Viel schlimmer seien die vielen Güterzüge, die den Menschen auf den Bahnstrecken längs des Rheins den Schlaf raubten.

Das 65 Kilometer lange Rheintal zwischen Rüdesheim/Bingen und Koblenz ist seit 2002 Unesco-Welterbe. Aus Sicht von Hessens einstigem obersten Landesdenkmalpfleger Gerd Weiß, ebenfalls Mitglied der Bürgerinitiative, bedrohen Windräder die „visuelle Integrität“ am Mittelrhein. Der Lorcher Park sei sowohl vom Loreley-Felsen wie auch vom Osteinschen Park bei Rüdesheim zu sehen.

Weiß verweist auf die „hohe Denkmalsdichte der landschaftsprägenden Elemente“ am Mittelrhein und im Rheingau. Dazu zählt er neben den Rheinburgen etwa auch das Schloss Johannisberg. Dort wurde Ende Februar der „Johannisberger Appell“ der Windkraftgegner verabschiedet. Die flammendste Rede hielt der Vater des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, Enoch zu Guttenberg. Der Dirigent und Waldbesitzer verglich dabei die „Verschandelung“ der Landschaft durch Windräder sogar mit den Zerstörungen der Terrormiliz IS im syrischen Weltkulturerbe Palmyra.

Auch Rheinland-Pfalz setzt auf Windkraft

Die Unesco hat sich ebenfalls eingeschaltet. Deren deutscher Generalsekretär Roland Bernecker hat in Briefen an Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) und dessen rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer (SPD) erklärt, der Bau von Windrädern in der Pufferzone setze den Status als Welterbe aufs Spiel.

Die Mainzer Regierung gibt sich besonders sensibel gegenüber den Lorcher Plänen, weil man inzwischen den eigenen Gemeinden am Rhein ähnliche Projekte untersagt hat. Allerdings hat Rheinland-Pfalz das Hinterland im nahen Hunsrück mit Windrädern zugepflastert. 61 könne er von der Lorcher Kammhöhe über dem Rhein zählen, meint Helbing süffisant.

Der Bürgermeister muss vor allem in der eigenen Partei, die bei der Windkraft nicht immer mit einer Zunge spricht, für seine Pläne kämpfen. Zwar meint auch der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag, Peter Stephan, dass ein Weltkulturerbe einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende leisten müsse. Aussagen führender CDU-Minister sprechen aber eine andere Sprache.

Neue Studie geplant

Er werde „mit äußerstem Nachdruck“ dafür sorgen, dass die Pufferzone auch auf hessischer Seite von Windrädern frei bleibe, schrieb der Chef der Wiesbadener Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, an die Unesco. Ähnlich äußerte sich Kulturminister Boris Rhein. Auch der für das Projekt eigentlich zuständige grüne Energieminister Tarek Al-Wazir gibt sich eher zurückhaltend. Man werde - wie für die Pufferzone im Mittelrheintal vorgeschrieben - den Einzelfall prüfen.

Die beiden Landesregierungen haben sich nun zusammen mit der Stadt Lorch auf eine neue „Sichtachsen-Analyse“ geeinigt. Übernehmen wird dies der Projektbetreiber EnBW, der dabei aber die Methodik der Unesco aus einem früheren Gutachten übernehmen will. Dann soll die Studie, die bald fertig sein soll, der Weltkulturorganisation vorgelegt werden.

Die Bürgerinitiative hofft auf „Einsicht“. Am Mittelrhein dürfe es nicht zu ähnlich verhärteten Fronten kommen wie vor einigen Jahren in Dresden, sagt Weiß. Dem Elbtal war nach dem Bau der Waldschlößchenbrücke 2009 der Welterbetitel aberkannt worden. Dagegen hält Bürgermeister Helbing die Pachteinnahmen aus der Windkraft für existenziell. Die Stadt Lorch ist überschuldet und leidet unter starker Abwanderung. „Ich habe die Verpflichtung, nach allen Möglichkeiten zu greifen, um den Haushalt auszugleichen.“

Text: dpa/pvg