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Atom-Klagen in Karlsruhe: Es geht um Milliardensummen

Foto In Karlsrue werden die Atom-Klagen verhandeltAuf Betreiben der Stromkonzerne prüft das Bundesverfassungsgericht den deutschen Atomausstieg. In der Karlsruher Verhandlung schenken sich Versorger und Bundesregierung nichts. Es geht um Wortbruch und enttäuschtes Vertrauen. Aber eben auch um Milliardensummen. Ein Überblick mit Fragen und Antworten.

Karlsruhe - Der Schlachtruf der Atomkonzerne ist spätestens seit vergangener Woche formuliert. „Ich erwarte Gerechtigkeit“, sagte Eon-Chef Johannes Teyssen bei der Vorlage tiefroter Jahreszahlen in Essen. Und vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wiederholt er sein Credo am Dienstag (15. März) noch einmal. Aber mit einem großen G fängt auch das Wörtchen „Geld“ an. Und darum geht es in allererster Linie, wenn die Verfassungsrichter zwei Tage lang den deutschen Atomausstieg durchleuchten. (Az. 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12 und 1 BvR 1456/12)

Was genau wird in Karlsruhe verhandelt?

Dafür braucht es einen kurzen Blick zurück ins Frühjahr 2011. Die Welt schaut voller Entsetzen auf das japanische Fukushima, wo nach Erdbeben und Tsunami vom 11. März ein Atomkraftwerk außer Kontrolle gerät. Die Ereignisse führen die Risiken der Kernkraft neu vor Augen. Wenige Monate zuvor haben Union und FDP den rot-grünen Atomausstieg bis zum Jahr 2036 gestreckt. Schnell ist klar: So eine Energiepolitik ist kurz vor wichtigen Landtagswahlen nicht mehr opportun. In Windeseile erfindet sich Schwarz-Gelb neu - als Anti-Atom-Koalition.

Was bedeutet das für die 17 deutschen Kernkraftwerke?

Sieben ältere Blöcke und das als „Pannenmeiler“ verschrieene AKW Krümmel in Schleswig-Holstein müssen per Moratorium sofort für drei Monate vom Netz. Eine Änderung des Atomgesetzes zum 31. Juli 2011 besiegelt ihr endgültiges Aus. Den restlichen neun Kraftwerken setzt der Gesetzgeber über elf Jahre gestaffelt feste Deadlines, zu denen die Betriebsgenehmigung erlischt. Damit ist der Atomausstieg bis 2022 beschlossene Sache. Heute gibt es bundesweit noch acht aktive Meiler. Deutschlands größte Energiekonzerne Eon und RWE hat die erzwungene Energiewende in massive wirtschaftliche Schwierigkeiten gestürzt.

Wie reagieren die Betreiber?

Die ziehen dutzendfach mit Schadensersatzforderungen vor Gericht - und haben dabei keine schlechten Karten. Denn bei der Hauruck-Aktion gibt es juristische Grauzonen. So erklärt Anfang 2013 der hessische Verwaltungsgerichtshof in einem vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Urteil die sofortige Abschaltung von Biblis A und B für rechtswidrig - unter anderem weil RWE vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört wurde. Ob das auch hohe Entschädigungssummen bedeutet, müssen im Einzelfall die Gerichte entscheiden. Die Grundsatzklagen werden aber erst jetzt in Karlsruhe verhandelt.

Mit welchen Auswirkungen?

Eon, RWE und der schwedische Staatskonzern Vattenfall werten den beschleunigten Atomausstieg als Enteignung. Sie wollen feststellen lassen, dass ihnen laut Grundgesetz vom Staat eine Entschädigung zusteht. Das schulde man schon den „Tausenden von Kleinanlegern, die gespart haben in Eon-Aktien, die ihre Rente in Eon-Aktien angelegt haben“, betont Teyssen in Karlsruhe. Er spricht viel von Vertrauen, von Fairness, von Solidarität. Aber natürlich geht es am Ende um Geld: Sollten die Konzerne Recht bekommen, wäre der Weg frei für Schadensersatzklagen im zweistelligen Milliardenbereich.

Haben sie denn Chancen auf Erfolg?

Darüber lässt sich nach den ersten Verhandlungsstunden nur spekulieren. Die Richter haben schwierige Fragen zu bewerten: Können Abschalttermine und gekürzte Strommengen überhaupt eine Enteignung sein? Muss es dafür einen finanziellen Ausgleich geben? Wurden die einzelnen Meiler ungleich behandelt? Und kann sich ein ausländischer Staatskonzern überhaupt auf deutsche Grundrechte berufen? Um die Sache noch komplizierter zu machen: Garantiert ist momentan noch nicht einmal, ob es überhaupt jemals zu einem Urteil kommt.

Warum das?

Die Konzerne haben ihre Klagen vor Jahren eingereicht, seither ist viel passiert. Aktuell dreht sich alles um die Frage, wer die enormen Kosten für den Rückbau der Meiler und die Lagerung des Atommülls schultern muss - nach Schätzungen von Experten mindestens 48,8 Milliarden Euro. Seit Wochen wird in Berlin in einer Kommission verhandelt. Der Staat könnte den Versorgern bei der Übernahme von Risiken entgegenkommen. Aber das hat seinen Preis: Im Gegenzug sollen die Konzerne ihre vielen Klagen fallen lassen. Auch wenn Eon-Chef Teyssen diese Lesart demonstrativ von sich weist („Dort geht es um Zukunftsfragen - hier geht es ausschließlich um die Vergangenheit“): Das Karlsruher Verfahren ist Verhandlungsmasse geworden.

Was passiert, wenn es vor einem Urteil einen Deal gibt?

Im Prinzip kann eine Verfassungsklage jederzeit zurückgenommen werden, selbst nach einer aufwendigen zweitägigen Verhandlung. Es gibt aber auch Beispiele für Fälle, die Karlsruhe trotzdem einfach entschieden hat: 1998 erklärte der erste Senat die umstrittene Rechtschreibreform für rechtens, obwohl die Kläger einen Rückzieher machten - unter Verweis auf die allgemeine Bedeutung der Frage. Deals in Berlin dürften die Richter wenig beeindrucken. Allerdings müssten die Konzerne festgestellte Ansprüche natürlich nicht einfordern.

Text: dpa/pvg

Bild: dpa