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Atomausstieg: Hat die Klagewelle der Versorger eine Chance?

Foto Der deutsche Atomausstieg landet vor GerichtDer abrupte deutsche Atomausstieg 2011 hat Folgen - sehr teure Folgen. Die Energiekonzerne haben eine Welle von Klagen gestartet und fordern Schadenersatz in Milliardenhöhe. Doch in den ersten Verfahren treten die Gerichte auf die Bremse. PREISVERGLEICH.de gibt einen Überblick mit Fragen und Antworten.

Bonn - Fast fünf Jahre nach der Katastrophe von Fukushima vom 11. März 2011 und dem abrupten deutsche Atomausstieg wehrt sich die Energiewirtschaft mit einer Welle von Prozessen - am Mittwoch der Karlsruher EnBW-Konzern beim Landgericht Bonn. Für den Bund und die Länder könnte der Ausstieg, der damals von einer breiten Bevölkerungsmehrheit mitgetragen wurde, nachträglich Milliarden an Schadenersatz kosten. Doch in den ersten Verfahren zeigten sich die Gerichte zugeknöpft. Sie korrigierten Schadenersatzansprüche nach unten - wie schon Ende 2015 in Essen. Bei der EnBW-Klage zogen sie die Rechtmäßigkeit sogar komplett in Zweifel.

Wogegen richten sich die Klagen?

Das Moratorium für die ältesten deutschen Blöcke hatten die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Atomländer wenige Tage nach Fukushima vereinbart. Kurz danach folgte die Änderung des Atomgesetzes mit dem endgültigen Aus für zunächst acht Kraftwerke und dem Ausstiegsszenario für die übrigen Anlagen bis Ende 2022. Klagen richten sich gegen das Moratorium und grundsätzlich gegen den Atomausstieg ohne Entschädigung. Insgesamt liegen die möglichen Forderungen nach Einschätzung von Fachleuten bei weit über zehn Milliarden Euro.

Worauf stützen sich die Kläger?

Alle Kläger stützen sich auf eine Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofes von Anfang 2013. Das Gericht hatte das Moratorium für die beiden RWE-Kraftwerksblöcke von Biblis an der Bergstraße für rechtswidrig erklärt - unter anderem, weil RWE vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Kritiker halten die Begründung des Moratoriums mit „Gefahrenabwehr“ außerdem für wenig überzeugend. Die Ereignisse in Japan mit einem Seebeben und einem folgenden Tsunami sind ja kaum auf Deutschland übertragbar.

Was sagen die Bonner Richter zu der Klage von EnBW?

Das Bonner Gericht ist insgesamt nicht überzeugt von einem Anspruch. Die Erfolgsaussichten seien «wacklig», sagte der Vorsitzende Richter. Denn EnBW habe sich 2011 wohl aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung nicht gegen die Stilllegungsanordnung gewehrt. Wer so handele, könne kaum nachträglich Schadenersatz verlangen.

Und die Höhe des Schadenersatzes?

Darüber wollte das Bonner Gericht wegen der grundsätzlichen Bedenken vorerst nicht diskutieren. In dem RWE-Verfahren hatten die Essener Richter die Höhe der Schadenersatzforderung von 235 Millionen Euro bezweifelt. Schließlich sei der Strompreis nach der Biblis-Abschaltung leicht gestiegen, sagte der Richter im Verfahren, und RWE habe statt Atom- möglicherweise mehr Braunkohlestrom verkauft. Solche Gewinne müssten gegengerechnet werden. Der Richter warf eine mögliche Summe von 50 statt 235 Millionen Euro in die Diskussion.

Wann kommen die Grundsatzklagen gegen den Atomausstieg?

Sie sollen in diesem Jahr in Karlsruhe verhandelt werden. Eon, RWE und Vattenfall beklagen dabei Eingriffe in das grundrechtlich geschützte Eigentum sowie in die Berufs- und Gewerbefreiheit. Das ist aus Sicht der Konzerne ohne entsprechende Entschädigung verfassungswidrig.

Sollte das Bundesverfassungsgericht dem grundsätzlich zustimmen, planen RWE und Eon Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe. Der schwedische Energieriese Vattenfall versucht, seinen Schadenersatz bei einem Schiedsgericht in Washington zu erstreiten. Dabei verlangt der Konzern nach nicht bestätigten Angaben rund 4,7 Milliarden Euro. In diesem Verfahren soll im Herbst 2016 verhandelt werden.

Wenn die Konzerne so für ihre Atomkraftwerke streiten - wollen sie die Atomwende rückgängig machen?

Nein - zur Atomkraft in Deutschland führt kein Weg zurück, das haben alle Konzernchefs klar gesagt. Die Unternehmen fühlen sich aber schon wegen ihrer Aktionäre verpflichtet, Schadenersatz für möglicherweise rechtswidrige Staatsauflagen auch einzufordern.

Text: dpa/pvg